Heimatstücke

Als jemand, der gerne Filme schaut, fand ich es schon immer reizvoll, einmal einen Soundtrack zu schreiben. Jetzt gibt es zwar zu diesen Aufnahmen keinen vollständigen Film, aber meine Heimatstücke bilden ähnlich wie in einem Roadmovie eine Ansammlung von Orten und Menschen ab, von Erinnerungen, Stimmungen und Echos aus vergangenen Tagen, die allesamt eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen. So entstand während der Pandemie 2021 mit diesem Album sicherlich auch meine bisher persönlichste Veröffentlichung.
Am Anfang steht die Blaue Datsche, eine Art einfaches Wochenendhaus, in dem ich während meiner Leipziger Kindheit im Frühling und Sommer jedes Wochenende mit meiner Familie verbrachte. Die Datsche war zwar nicht blau, sondern holzbraun, aber in meiner Erinnerung kann ich dieses entspannte Gefühl, das ich mit jener Zeit verbinde, nicht anders als „blue“ bezeichnen. Adolestanz handelt – nicht ganz überraschend – von dem nicht immer einfachen Übergang ins Erwachsenenleben, und Zeitenwende spiegelt die Jahre zwischen 1989 und 91 wider, die für mich mit vielen Veränderungen verbunden waren: der sog. Mauerfall katapultierte mich in eine neue Umgebung nach Köln.
Einer meiner Lieblingsorte jenseits der Realität sind meine Träume, in denen mir hin und wieder ein Freiflug wie in Traumwanderung vergönnt wird. Zum Glück erwartet mich nach dem Erwachen meistens neuer Tatendurst – ein anscheinend fester Bestandteil meines Wesens, der mich im Laufe der letzten Jahre zu den unterschiedlichsten musikalischen Unternehmungen führte. Die Ferien bei Oma waren in meiner prä-medialen Kindheit von seltsamer Eintönigkeit geprägt, in der ich die Langeweile als einen täglichen Begleiter kennen und akzeptieren lernen musste, zumal ich als Nachzügler von zwei großen Brüdern fast wie ein Einzelkind aufwuchs.
Am Sonnabend ging es (siehe oben) immer zur Datsche, und so machten wir uns direkt nach der Schule auf die einstündige Fahrt in die Dübener Heide nahe der Lutherstadt Wittenberg. Den imaginären Sound zum Start ins Wochenende liefert hier das gleichnamige Stück.
Zurück in die Gegenwart, wo mir das Leben glückliche Zeiten schenkt, die ich mit meinen zwei wunderbaren Kindern Noah und Marli und mit meiner lieben Frau Sabine teile. Ich bin sehr dankbar dafür, sie in meinem Herzen wissen zu dürfen. Mit Pilzernte schließt sich langsam der Kreis: so wie es in meiner Kindheit Tradition war, gehe ich auch heute mit meiner Familie im Herbst oft auf Pilzsuche in die Wälder.
Dieses Album soll und kann kein abschließendes Zeugnis darstellen und schon gar keinen Anspruch auf Vollständigkeit beinhalten. Vielmehr hoffe ich, dass ich es zu einem späteren Zeitpunkt in meinem Leben noch einmal fortführen und erweitern kann. Für mich ist es in erster Linie Ausdruck der Dankbarkeit für all das, was mir bisher im Leben widerfahren ist. Und paradoxer- und glücklicherweise gab mir ausgerechnet die Pandemie Zeit und Energie, diese Dankbarkeit einmal in ein paar Stücke Musik zu kleiden: meine Heimatstücke.
Ein besonderer Dank gilt meinen lieben Mit-Musikern Ralf, Martin, Matthias und Simon, die mich allesamt auch schon seit vielen Jahren begleiten, und die mir geholfen haben, einen Sound für dieses Album zu kreieren, der meiner Vorstellung eines Roadmovie-Soundtracks eine deutlich hör- und spürbare Form gibt.

Heiner Schmitz im April 2023